Bürgersprechstunde unter freiem Himmel
Auf einen Kaffee mit Katja Kipping
In der Theorie sie schon gleichberechtigt, in der Praxis aber hängt der Philisterzopf den männlichen Genossen noch ebenso im Nacken wie dem ersten besten Spießbürger – so das Urteil von Clara Zetkin. Mit dieser Erfahrung steht sie nicht allein. Berichte von anderen Frauen, z.B. von Alexandra Kollontaj, liefern bezeichnende Beispiele dafür, wie die Arbeiterbewegung die Frauenfrage nur zu oft vernachlässigt hat. Mit diesem Teil unserer Tradition müssen wir uns auseinandersetzen. Insofern ist es gut, dass DIE LINKE sich in den programmatischen Eckpunkten klar auf die Frauenbewegung bezieht. Soweit zur Theorie. Doch wie sieht es mit der Praxis aus?
Nun, da die Gipfelproteste um Heiligendamm vorbei sind, stellt sich die Frage: Was bleibt? Diese Frage erinnert zunächst nur formal an den Titel einer Erzählung von Christa Wolf, in der sie sich mit den zermürbenden Erfahrungen einer Beobachtung durch die Stasi auseinandersetzt. Kenner der Erzählung erinnern sich jedoch: Der gewohnte Tagesablauf der Protagonistin wird durch eine beeindruckende Erfahrung durchbrochen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts warnte Lenin in seiner Schrift „Was Tun?“ seine Partei vor einem reinem Trade-Unionismus. Nun sollte sich eine neue Linke im 21. Jahrhundert das Leninsche Parteiverständnis auf keinen Fall komplett zu eigen machen. Der Anspruch aber, dass eine linke Partei mehr als reine Interessenvertretung der Gewerkschaften ist, der Anspruch, dass eine linke Partei immer auch für eine System transformierende Perspektive einsteht, gilt heute mehr denn je.
Mit dem Papier "Freiheit und Sozialismus – Let's make it real. Emanzipatorische Denkanstöße für die neue linke Partei" vom April 2006 meldeten sich Katja Kipping, Caren Lay und Julia Bonk in der damaligen Programmdebatte im Parteibildungsprozess von Linkspartei.PDS und WASG zur neuen, gemeinsamen Partei DIE LINKE zu Wort. In der Folge trat die Emanzipatorische Linke als Denkrichtung und Diskussionszusammenhang in Erscheinung, im Mai 2009 gründete sie sich als innerparteilicher Zusammenschluss in der Partei DIE LINKE.