Thesenpapier zum Grundeinkommen aus feministischer Sicht
Katja Kipping
Thesenpapier zum Grundeinkommen aus feministischer Sicht
I. Vorbemerkungen
1. Was ist ein Grundeinkommen?
Grundeinkommen = universalistisches Konzept, dass jeder und jedem individuell ein Einkommen garantiert, welches die Existenz und Teilhabe sichert, ohne einen Zwang zur Arbeit und zu einer Gegenleistung, ohne eine sozial-administrative Bedürftigkeitsprüfung
2. Über welches emanzipatorische Grundeinkommenskonzept sprechen wir?
Vgl. das Konzept der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE unter
www.die-linke-grundeinkommen.de
1080 Euro monatlich ab dem vollendeten 16. Lebensjahr, darunter 540 Euro (vgl. LINKE Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen, Höhe 536 Euro)
Das Grundeinkommen ist als Teil eines gesellschaftstransformatorischen Konzepts:
- eingebettet in moderne, universalistische Sozialversicherungskonzepte (Erwerbslosenversicherung, Bürger*innenversicherung für Gesundheit/ Pflege/Rente, Unfallversicherung) und ein modernes Konzept der sozialen Infrastruktur/Dienstleistungen (ausgebaut, gebührenfrei, demokratisch organisiert und an Bedürfnissen der Nutzer*innen orientiert)
- finanziert durch Umverteilung von oben nach unten (ca. 70 % der Bevölkerung profitieren davon, insbesondere untere Einkommensschichten)
- verbunden mit einem Mindestlohn (daher kein Kombilohn), Erwerbsarbeitszeitverkürzung, Umverteilung unbezahlter notwendiger Arbeit wie Sorgearbeit, der Aufwertung bezahlter sozialer Dienstleistungen, sozialökologischer Umgestaltung der Gesellschaft, der Aneignung der Produktionsmittel und Gestaltung einer partizipativen, kooperativen Gesellschaft (radikale Demokratisierung der Gesellschaft)
- als Globales Soziales Recht gedacht, um jeden Menschen an seinem Lebensort abzusichern (alle Menschen in allen Ländern)
3. Feministischer Grundsatz bezüglich der Grundeinkommensdebatte
Grundsatz einer feministischen Debatte über das Grundeinkommen, die sich einmischen will, könnte der von Gabriele Winker, vom Feministischen Institut Hamburg, formulierte sein: "Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein spannendes unterstützenswertes politisches Projekt. FeministInnen haben die Aufgabe und Chance, die aktuelle Debatte um das Grundeinkommen inhaltlich zu verbreitern und damit auch zu stärken." (Winker 2009)
II. Thesen
1. Aus feministischer Sicht unbestritten, werden mit dem Grundeinkommen gemäß o. g. vier Kriterien für Frauen
- die Verhandlungsmacht am Arbeitsmarkt und die Teilnahmemöglichkeit an politischen Aushandlungsprozessen gestärkt,
- die Selbstbestimmungsmöglichkeiten hinsichtlich der Arbeits- und Lebenszeit-gestaltung befördert,
- der Erwerbs-/Lohnarbeitszwang und materiell prekäre Lebenslagen überwunden,
- materiell bedingte persönliche Ab-hängigkeiten vom (Ernährer-)Mann, von Partner*innen und Eltern gelöst oder gelockert,
- die materiell bedingte zwangsweise Befolgung herkömmlicher Rollenmuster minimiert,
- Abhängigkeiten von Staatsbürokratien und Symptomvorweisungen zur sozialen Absicherung sowie Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten der traditionellen, von der Lohnarbeit abgeleiteten Sozialversicherungssysteme beseitigt.
Die individuelle Freiheit der Frauen würde so in vielen Bereichen durch das Grundeinkommen erweitert.
2. Die feministische Debatte hat darüber hinaus in jahrzehntelanger Diskussion zur inhaltlichen Qualifizierung von Grundeinkommenskonzepten und -diskussionen, die sich als Bestandteil einer Transformation zu einer solidarischen, postpatriarchalen und sozial-ökologischen Gesellschaft verstehen, beigetragen.
In gleichstellungspolitischer Perspektive (Pimminger, Worchschech) wurden u. a. folgende Rahmenbedingungen für das Grundeinkommenskonzept benannt: Mindestlohn, Förderung kollektiver Arbeitszeitverkürzung und individueller Zeitsouveränität, Abbau von ungleichen Zugängen zu Bildung, Qualifikation, Positionen im Beruf für Frauen, Erhöhung der Einkommen in eher weiblich dominierten Arbeitsmarktsektoren, Ausbau sowie universeller Zugang zu sozialer Infrastruktur und zu sozialen Dienstleistungen und öffentlichen Gütern, pauschale Vergütung und Anerkennung bei der Rente von Pflege- und Erziehungszeiten, deutliche Anreize für eine geschlechtergerechte Verteilung der Pflege-, Erziehungs-, Sorgearbeit im familiären bzw. sozialen Nahbereich, Abschaffung steuerlicher Privilegierung der Alleinverdienerehe usw.
In postpatriarchaler Perspektive (Schrupp, Praetorius) wird betont, dass mit dem Grundeinkommen ein Bewusstsein dafür geschaffen werden kann und muss, dass erstens emanzipiertes menschliches Zusammenleben "Freiheit in gegenseitiger Abhängigkeit und Bezogenheit" ermöglicht, und dass zweitens zur Ökonomie nicht nur gehört, Dinge zu tauschen, sondern auch Dinge ohne Gegenleistung zu bekommen. Auch könne die herrschende (kapitalistische und patriarchale) Leistungs-bestimmung mit dem Grundeinkommen in Frage gestellt werden, die zwischen eigentlichen (profitablen) und vernachlässigbaren, höheren und niederen, bezahlten und unbezahlten Ökonomiebereichen unterscheidet.
Außerdem würde das Grundeinkommen für die Einzelnen mehr Spielraum schaffen, damit sie bei der Entscheidung, was sie tun sollen, dem Kriterium der Notwendigkeit Priorität einräumen vor dem Kriterium der Bezahlung. Das Grundeinkommen wäre somit Bestandteil einer neuen ökonomischen Ausgangslage: "Damit in der Wirtschaft alle das tun können, was gleichzeitig ihren unverwechselbaren Fähig-keiten und Wünschen und den gegebenen Notwendigkeiten entspricht."
In sozialökologischer Perspektive (Baier, Biesecker et al.) wird das Grundeinkommen als Bestandteil des Konzepts des "vorsorgenden Arbeitens" verstanden. Ein Konzept, das "Arbeit vom Vor- und Versorgen und nicht vom Markt her denkt", und "die geschlechtshierarchische Trennungsstruktur der kapitalistischen Ökonomie, die Abtrennung und Abwertung der allem Wirtschaften zugrundeliegenden Basisproduktivitäten: der weiblichen Sorgearbeit und der Naturproduktivität" überwinden will. Dieses Konzept setzt auf ressourcen-schonendes und Naturregeneration ermög-lichendes Arbeiten und Leben und auf die gleichwertige Beteiligung von Männern und Frauen an allen Arbeitsbereichen (Sorgearbeit, Eigenarbeit, bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit). Dazu wäre die Erwerbsarbeit radikal zu kürzen, Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern umzuverteilen, die einzelnen Arbeitsbereiche und -produkte nach sozialökologischen Kriterien zu gestalten, die Sorgearbeit durch eine unterstützende soziale Infrastruktur aufzuwerten, sowie ausreichende Löhne und ein Grundeinkommen abzusichern.
In demokratischer Perspektive (Kipping, Senghaas-Knobloch) werden das Grundeinkommen und die o. g. weiteren transformatorischen Ansätze in demokratiepolitisch-feministischer Hinsicht verortet. Es geht darum, "dass alle Staatsbürger, auch diejenigen mit hohen Fürsorgeverpflichtungen, unmittelbar konkreter Art, Ressourcen materieller und zeitlicher Art zur Verfügung gestellt bekommen, die es ihnen erlauben, nicht nur unmittelbare Fürsorgeverpflichtungen gegenüber Angehörigen zu erfüllen, sondern auch das ihnen mögliche und gewünschte Maß eines fürsorglichen Handelns im weiteren Rahmen, eines politischen Handelns als bürgerschaftliches Engagement." Die Demokratiepauschale Grundeinkommen würde daher auch ermöglichen, frauenspezifische Perspektiven und die fundamentale Bedeutung der Fürsorge für-einander für die Gestaltung des Gemeinwesens in die öffentliche politische Aushandlung einzubringen.
3. Die verschiedenen feministischen Zugänge verdeutlichen erstens, dass das Grundeinkommen nicht nur in der feministischen Debatte angekommen, sondern zweitens durch die emanzipatorisch-feministische Debatte wesentlich in Ausgestaltung und Funktionsbeschreibung gewonnen hat – und in dieser Gestaltung als Bestandteil einer transformatorischen Gesellschaftsveränderung in emanzipatorisch-feministischer Hinsicht zu begrüßen ist. Die jüngsten Aufrufe und Aktionen am 8. März und 1. Mai zur Care-Revolution, die die Care-Krise zum Gegenstand ihrer Bewegung machen, bestätigen dies. Sie benennen das Grundeinkommen als notwendigen Bestandteil dieser gesellschaftlichen Veränderung im Sinne einer Care- Revolution (siehe Anhang).
Literatur/Quellen:
Appel, Margit / Gubitzer, Luise / Wohlgenannt, Lieselotte, Primär mehr – geschlechtergerecht und ressourcenschonend, in: Blaschke, Ronald / Rätz, Werner (Hrsg.), Teil der Lösung. Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Zürich 2013, 99 - 114
BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIELINKE, Konzept für ein emanzipatorisches bedingungsloses Grundeinkommen in zwei Varianten, 2014; http://www.die-linke-grundeinkommen.de/WordPress/?page_id=4594
Baier, Andrea / Biesecker, Adelheid, Gutes Leben braucht andere Arbeit, in: Woynowski, Bernd u.a. (Hrsg.), Wirtschaft ohne Wachstum?! Notwendigkeit und Ansätze einer Wachstumswende, Freiburg 2012, 211 - 216
Blaschke, Ronald, Grundeinkommen und Care-Arbeit, in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 134, Dezember 2014, 113 - 127
Biesecker, Adelheid / Wichterich, Christa / von Winterfeld, Ute, Feministische Perspektiven zum Themenbereich Wachstum, Wohlstand, Lebens-qualität, Hintergrundpapier zur Enquete-Kommis-sion im Deutschen Bundestag, Bremen, Bonn und Wuppertal 2012
Denknetz (gewerkschaftsnaher Think-Tank in der Schweiz), Fachgruppe Sozialpolitik, Arbeit und Care-Ökonomie, Das bedingungslose Grundeinkommen muss die Freiheit aller stärken, 2011
Kipping, Katja, Ausverkauf der Politik: Für einen demokratischen Aufbruch, Berlin 2009
Netzwerk Care-Revolution, Care Revolution – für ein gutes Leben für alle; http://care-revolution.org/wp-content/uploads/2015/02/Care_Revolution_8März.pdf
Netzwerk Care-Revolution, 1. Mai, Tag der unsicht-baren Arbeit; http://care-revolution.org/wp-content/uploads/2015/04/1.Mai-Flyer-schwarzweiß.pdf
Pimminger, Irene, Bedingungsloses Grundeinkom-men aus einer geschlechterpolitischen Perspektive, Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bonn 2008
Praetorius, Ina, Postpatriarchal gedacht macht das Grundeinkommen Sinn, Beziehungsweise-weiterdenken, 2012
Praetorius, Ina, Care und Grundeinkommen, in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Heft 134, Dezember 2014, 99 - 111
Schrupp, Antje, Carearbeit und Grundeinkommen, 2012
Schrupp, Antje, Erkennen, was notwendig ist, in: Blaschke, Ronald / Rätz Werner (Hrsg.), a. a. O., 83 - 97
Senghaas-Knobloch, Eva, Postfordistische Grenzverwischungen der Arbeitswelt und das feministische politische Projekt, in: Kahlert, Heinz/ Lenz, Claudia (Hrsg.), Die Neubestimmung des Politischen. Denkbewegungen mit Hannah Arendt, Königstein/T. 2001, 264 - 298
Winker, Gabriele, Das bedingungslose Grundeinkommen – eine feministische Perspektive?! Feministisches Institut Hamburg, 2009
Winker, Gabriele, Care-Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft, Bielefeld 2015
Worschech, Susanne, Soziale Sicherheit neu denken. Bedingungsloses Grundeinkommen und bedarfs-orientierte Grundsicherung aus feministischer Sicht, Heinrich Böll Stiftung / Gunda Werner Institut, 5. Auflage, Berlin 2012
Anhang
Auszug aus dem Flugblatt des Netzwerks Care-Revolution zum 8. März (Frauenkampftag), analog zum 1. Mai (Tag der unsichtbaren Arbeit)
"Ziele und erste Schritte
Unmittelbar scheint uns für gute Sorge und gutes Leben folgendes nötig zu sein:
- Ausreichendes Einkommen für alle, um die eigene Existenz zu sichern. Das bedeutet zunächst einen substanziellen Mindestlohn ohne Ausnahmen, ein bedingungslos gezahltes Grundeinkommen, eine deutlich bessere Entlohnung in Care-Berufen.
- Ausreichende Zeit, um das Ganze der Arbeit im Betrieb, bei der Sorge für nahestehende Menschen und für sich selbst bewältigen zu können und Zeit der Muße übrigzubehalten. Das bedeutet zunächst Arbeitszeit-verkürzung bei Vollzeit und besondere Erleichterungen für Menschen mit Sorgeverpflichtungen und eine diskriminierungsfreie Verteilung von Sorgearbeit.
- Eine soziale Infrastruktur, die Sorge und Selbstsorge wirklich unterstützt. Das bedeutet zunächst ein ausgebautes und kostenlos nutzbares Bildungs- und Gesundheitssystem, finanzierbaren Wohn-raum, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und die Unterstützung von Selbsthilfenetzwerken. Über eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums ist dies realisierbar.
- Echte Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungen: Das bedeutet eine umfassende demokratische Selbstverwaltung. Gleichzeitig bedeutet es, dass es keinen Ausschluss, keine Benachteiligung und keine Privilegien wegen der Herkunft oder der Staatsangehörigkeit, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, der Leistungsfähigkeit sowie wegen Bildung oder Beruf gibt.
- Bedürfnisorientierte Care-Ökonomie. Wir zielen auf eine Gesellschaft, die nicht die Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt.
Wir wollen uns nicht länger daran hindern lassen, gemeinsam ein gutes Leben zu gestalten. Und bis wir das erreicht haben, sind wir fest entschlossen, den unvermeidlichen Kampf mit Spaß und Energie zu führen – auch und gerade am Internationalen Frauenkampftag.
Auf zur Care Revolution!"